Tatort – Fünf Minuten Himmel

Heike Makatsch, Angela Winkler, Wendrich, Gebbe. Auf hohem Niveau gescheitert

Foto: SWR / Ziegler Film
Foto Rainer Tittelbach

Die Voraussetzungen für den „Tatort – Fünf Minuten Himmel“ sind vielversprechend: Heike Makatsch als Kommissarin und die eigenwillige Arthaus-Regisseurin Katrin Gebbe („Tore tanzt“). Beide erfüllen die Erwartungen: Die verschlossene, differenziert gespielte Heldin spiegelt sich in einer spröden Inszenierung ohne Gefälligkeitsästhetik. Dafür ist die Geschichte ein Mischmasch aus Whodunit, wilden Kunstfilm-Metaphern und wüstem Sozialdrama. Viel Handlung, viel zu viele Figuren, um Verwirrung zu stiften und so das Mörderratespiel nicht zu gefährden. Angenehm anti-psychologisch, aber eben auch dramaturgisch diffus. Und im Detail viele SWR-typische Fremdschämsituationen, die an die Striesow-„Tatorte“ erinnern.

Mord im Jobcenter, Hartz-IV-Milieu und eine Kommissarin mit Vergangenheit
Ellen Berlinger (Heike Makatsch) ist zurück in ihrer Heimat, die sie vor 15 Jahren verlassen hat. Sie arbeitete zuletzt für das BKA in London. Hat ihre zweite Schwangerschaft damit zu tun, dass sich die Hauptkommissarin nach Freiburg hat versetzen lassen? Ihre Mutter Edelgard (Angela Winkler) wohnt dort noch immer – und auch Ellens 16jährige Tochter Niina (Emilia Bernsdorf), die bei ihrer Großmutter aufgewachsen ist. Die Familienverhältnisse sind kompliziert; die Annäherung verläuft nur schleppend. Die Zeit der Kommissarin ist aber ohnehin knapp bemessen, denn ihr erster Fall wartet auf sie: Im hiesigen Jobcenter gibt es einen toten Sachbearbeiter, stranguliert mit Kabelbinder und ein Abschiedsbrief auf dem PC – als falsche Fährte: denn der Mann wurde eindeutig ermordet. Er hatte kurz zuvor noch Geschlechtsverkehr, womöglich mit einer seiner Kundinnen. Ellen vermutet, dass Cornelia Mai (Julika Jenkins) seine Geliebte war. Verdächtig ist auch der Vermieter (Pierre Siegenthaler), der den Toten bestochen haben könnte und der vom Tod des Mannes aus der Leistungsabteilung des Jobcenters deutlich profitiert. Involviert in die Vorkommnisse sind auch einige Teenager aus dem Hartz-IV-Milieu. Sie versüßen sich mit Ohnmachtspielen, sogenanntem Bio-Kiffen, den grauen Alltag, den ihre Eltern ihnen eingebrockt haben. Da sind die völlig abgedrehten Girlies, Ruth (Jochanah Mahnke) und Harriett (Anna-Lena Klenke), da ist Melinda Mai (Rosemarie Röse) und mittendrin Titus (Oskar Bökelmann), der Sohn des Ermordeten. Auch Ellens Tochter Niina kennt die Clique – und hält sich von ihr weitgehend fern. Mit der Polizei bekommt sie es dennoch zu tun: Denn sie hat Marihuana im Gepäck.

Stimmig: eine schwer zugängliche Heldin in einer bewusst spröden Inszenierung
Die Voraussetzungen für den „Tatort – Fünf Minuten Himmel“ klingen vielversprechend: Heike Makatsch als neue „Tatort“-Kommissarin im Breisgau, als Einzel-Event geplant, aber durchaus mit einer Option auf Mehr, und die Regisseurin Katrin Gebbe, die mit ihrem eigenwilligen Psychodrama „Tore tanzt“ ein unbarmherziges Kinodebüt vorlegte. Um es vorwegzunehmen: Diese beiden Hoffnungsträger machen gute Arbeit. Makatsch verkörpert ihre Kommissarin als eine Frau, die eine dezente Sozialphobie mit sich herumträgt: eine verschlossene Einzelgängerin, unnahbar und fast ohne ein einziges Lächeln. Leger gekleidet, mal mit Blouson, mit mehr oder weniger verwaschenen Jeans, mal mit cooler Schlabberlook-Jacke, passend zum deutlich sichtbaren Schwangerschaftsbauch, dazu Turnschuhe, um flink zu sein, nicht so sehr beim Ermitteln als vielmehr in persönlicher Mission: Privat ist Ellen Berlinger ein Fluchtwesen. Unaufgeregt dagegen das Spiel von Makatsch. Ihr von den Augen ausgehendes Charisma vermag es, von den banalen und oft redundanten Befragungen abzulenken; dabei gehen ihr selbst noch die „Wo-waren-Sie?“-Fragen recht locker über die Lippen. Diesem schwer zugänglichen Charakter entspricht Gebbes bewusst spröde Inszenierung, die jegliche Gefälligkeitsästhetik vermeidet. Die Montage des Films hat wenig Fließendes, so starr die Charaktere, die in ihren Verhaltensmustern verharren, so rigoros und ruppig sind mitunter die Szenenwechsel. Viele Zuschauer (und auch einige Kritiker) werden diesem „Tatort“ vorwerfen, dass sie mit ihm, seiner Filmsprache, und der Heldin nicht warm werden. Prinzipiell kein gutes Argument, um die Qualität eines Films zu beurteilen – dennoch: Vielleicht ist der Film in seiner Summe tatsächlich zu sehr auf Verweigerungstaktik gebürstet. Denn auch die Story der Jugendlichen, die sich mit ihrem Luftwegdrücken ja auch dem „Normalen“, dem Leben(sprinzip), verweigern, und die anderen seltsamen bis psychisch gestörten Nebenfiguren, die wie Gespenster durch die Szenerie wandeln, sind gewöhnungsbe-dürftig in ihrem Wahnwitz. Das freilich unterliegt alles dem Geschmack des Zuschauers. Die „objektiven“ Schwachpunkte von „Fünf Minuten Himmel“ liegen dagegen ganz woanders.

Tatort – Fünf Minuten HimmelFoto: SWR / Ziegler Film
Denn sie wissen nicht, was sie tun. Harriet (Anna-Lena Klenke) zeigt Ruth (Jochanah Mahnke) variieren das Ohnmachtsspiel.

Fremdschämsituationen im Fünfminutentakt: Striesow-„Tatort“ lässt grüßen!
Dass die lieben Kollegen oder der Chef die Hauptkommissare in Krimi-Reihen nerven, ist – auch wenn nicht gerade originell – ihr gutes Recht, wenn sie damit aber auch dem Zuschauer auf den Geist gehen, ist das eher kontraproduktiv. Dieses stumpfe Austauschen von Spitzen zwischen der Neuen und dem Kriminaltechniker, einer Nebennebenfigur, das gleich in den ersten Minuten vom Wesentlichen ablenkt, der neuen Heldin in einer neuen „Tatort“-Stadt, ist ein typisches Beispiel dafür. Nicht viel stimmiger sind die Szenen mit dem Kommissariatschef: Das erinnert alles ein bisschen an das Setting und die Fehler beim Striesow-„Tatort“. Was braucht eine Einzelgängerin so viel menschliches Beiwerk? Damit auch der Letzte merkt, dass sie eine Einzelgängerin ist? Und dann dieses Büro, riesig, mit Rollos verhängte Fensterfronten und ständig ein Gewusel im Raum – Freiburg muss ein ziemlich kriminelles Pflaster sein! Sich im Kleinklein zu verlieren – das Prinzip, das in den „Tatort“-Ablegern im Südwesten sehr beliebt ist – zeigt sich bei „Fünf Minuten Himmel“ auf allen Ebenen. Da bekommen selbst noch gesichtslose Statistenfiguren (nachsynchronisierte) Sätze in den unsichtbaren Mund gelegt („Ist das die Neue?“). Fremdschämsituationen gibt es im ersten Drittel des Films im Fünfminutentakt: Das beginnt mit den Mundartkarikaturen im Jobcenter, der Vorstellung der neuen Kollegin („Mord? Da isch mir wohl was entganga“), und setzt sich fort mit dem Chef – so viel klassischen Chef gibt es sonst nur im „Tatort“ Luzern – und seiner Fürsorge, die die Heldin flapsig beantwortet: „Ich bin nicht behindert.“ Oh wie peinlich, dass da gerade der Kollege mit Handicap in die Szene gerollt kommt! Die albernen Umschreibungen für den Geschlechtsverkehr des Toten („der Aal wurde gebadet“) mögen zwar den Mann von der Spusi charakterisieren (doch der interessiert uns ja sowieso nicht!), darüber hinaus sind sie nur blöde Belustigung; und der Schnitt in eine Teenager-Sexszene ist (als Montagemotivation) ebenso banal wie billig. Ein weiteres Manko, unter dem der „Tatort“ im Südwesten (der ohne eine Filmmetropole auskommen muss) generell leidet, sind die unterdurchschnittlichen Nebendarsteller, insbesondere im Kripo-Team, die es natürlich gegen eine Heike Makatsch doppelt schwer haben. Auch das erinnert sehr an den unglücklichen Striesow-„Tatort“.

Mischmasch aus Whodunit, Kunstfilm-Metaphern und wüstem Sozialdrama
Anstatt für Makatsch also ein konzentriertes Krimidrama zu schreiben, möglicherweise im Kammerspiel-Modus, was der Privatgeschichte und der Qualität des Duos Makatsch/Winkler entsprochen hätte, ließ man Autor Thomas Wendrich („Lenz“) einen abstrusen Mischmasch aus Whodunit und Kunstfilm-Metaphorik, aus Nebelkerzeneffekten und wüstem Sozialdrama plotten. Schräge Momente anzuhäufen, das ergibt aber noch keine Geschichte. Das Bruchstückhafte „episodisch“ zu nennen, wie es die Regisseurin in Bezug auf das Drehbuch tut, macht die Sache nicht besser. Die diffuse Dramaturgie spiegelt sich auch filmisch wider: Es fehlt ein durchgängiger Erzählrhythmus. Zum narrativen Free-Jazz reicht es aber auch nicht; dem steht das Rätselkrimi-Genre im Weg. Und so ist das dramaturgische Prinzip trotz Arthaus-Touch simpel: viel (Neben-)Handlung, viele Figuren, die aus Krimi-Sicht nur dazu da sind, Verwirrung zu stiften, um so das Mörderratespiel für den Zuschauer nicht zu gefährden. Dass sich Täter im Laufe der Handlung nicht verraten dürfen, gehört zu den Regeln des Genres; das macht viele Fernsehkrimis „psychologisch“ unglaubwürdig (und ist wohl mit ein Grund dafür, dass der „charakterschwache“ Kriminalfilm lange Zeit als ein Trivialgenre galt). Das Verhalten des Täters in diesem „Tatort“ wirkt – retrospektiv betrachtet – ganz besonders unstimmig. Dagegen ist das anti-psychologische, geradezu anti-naturalistische Spiel der jugendlichen Schauspieler, insbesondere in den Gruppenszenen nicht uninteressant. Da ätzen sich die gelangweilten Teenager V-Effekt-sicher durch die statische Szenerie, als seien sie einem frühen Theaterfilm Fassbinders entsprungen. Fazit: Makatsch ist erwartungsgemäß sehenswert und ihre Kommissarin ausbaufähig. Doch einmal mehr bremsen sich im „Tatort“ Krimi und Drama gegenseitig aus. Die „interessante“ Inszenierung kann die konzeptionellen und dramaturgischen Schwächen nur in Maßen retten.

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Reihe

SWR

Mit Heike Makatsch, Angela Winkler, Emilia Bernsdorf, Max Thommes, Rosemarie Röse, Julika Jenkins, Jochanah Mahnke, Oskar Bökelmann, Anna-Lena Klenke, Holger Kunkel, Christian Kuchenbuch

Kamera: Matthias Bolliger

Szenenbild: Jan L. Hartmann

Kostüm: Sabine Keller

Schnitt: Monika Schindler

Musik: Johannes Lehninger

Produktionsfirma: Zieglerfilm Baden-Baden

Drehbuch: Thomas Wendrich

Regie: Katrin Gebbe

Quote: 7,99 Mio. Zuschauer (22,3% MA)

EA: 27.03.2016 20:15 Uhr | ARD

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