Tatort – Hetzjagd

Ulrike Folkerts, Bitter, Herrmann, Lux, Stritzel, Tom Bohn. Am großen Rad gedreht

Foto: SWR / Jacqueline Krause-Burberg
Foto Volker Bergmeister

Ein „linker“ Konzertveranstalter wird zum Hassobjekt eines Rechtsextremisten, kurz darauf ist er tot – erschossen. Im neuen Ludwigshafen-„Tatort – Hetzjagd“ (SWR) tauchen Lena Odenthal und Johanna Stern ins rechte Milieu ein, bekommen unerwünschte Unterstützung durch den Verfassungsschutz und begeben sich auf die Suche nach zwei jungen Frauen: die Freundin des Opfers und die des vermeintlichen Mörders. Ein eher durchschnittlicher Krimi. Stamm-Regisseur Thomas Bohn will mit seiner Geschichte einmal mehr ganz groß hinaus. Filmisch bleibt das Ganze eher bescheiden. Und Musiker Clueso hat einen Kurzauftritt.

Thomas „Tom“ Bohn hat mit „Hetzjagd“ bereits seinen 20. „Tatort“ gedreht, den neunten mit Ulrike Folkerts als Kommissarin Lena Odenthal. Der Autor und Regisseur dreht in seinem Filmen gerne am großen Rad. Zuletzt beschäftigte er sich in „Maleficius“ mit Neurotechnik, in „Vom Himmel hoch“ mit traumatisierten Soldaten & militärischen Drohneneinsätzen. So geht es in „Hetzjagd“ auch nicht nur um Rechtsradikale und „No Racism“-Kämpfer, Bohn wäre nicht Bohn, würde er nicht auch noch den Verfassungsschutz mitmischen lassen. Weniger ist manchmal mehr, das gilt auch für den neuen Fall der SWR-Kommissarinnen in Ludwigshafen.

„Heute Zuschlag – Tod den Volksverrätern. Revenge88“ twittert Neonazi Ludger (Daniel Noel Fleischmann). Dann nimmt er eine Pistole, schlüpft in die Bomberjacke und verlässt die Wohnung. Derweilen steht der „Rock gegen Rechts“-Konzertveranstalter Tillmann (Tom Sommerlatte) an der Espressomaschine, befiehlt Alexa: „Spiele Indiemusik!“, dann geht es ab zum Joggen. Kurz darauf geht bei der Polizei ein Anruf ein: „Bei uns schießt jemand am Rheinufer“. Tillmann liegt tot am Boden, Ludger steht irritiert vor der Leiche, ein Stück entfernt sieht man eine unbekannte Person. Ein Fall für Lena Odenthal (Ulrike Folkerts). Die ist zuerst einmal geschockt: Tillmann sah sich von der rechtsextremen Szene bedroht und hatte, auch bei Lena Odenthal, Polizeischutz beantragt. Der wurde abgelehnt.

Sein Tod löst eine Fahndung aus. Als Ludger und seine Freundin Hedwig (Anne-Marie Lux) in eine Polizeikontrolle geraten, erschießt er die Polizeioberkommissarin Winter und wird verhaftet, während Hedwig fliehen kann. Ludger ist Mitglied einer rechtsextremen Organisation. Er bestreitet vehement, den Mord an Tillmann verübt zu haben. Lena Odenthal und Johanna Stern (Lisa Bitter) ermitteln im Umfeld des Opfers, erhalten dabei ungebeten Unterstützung von Verfassungsschützer Leonhardt (Oliver Stritzel). Tillmanns Freundin Maria (Anna Herrmann) und deren Mutter Julia (Valerie Niehaus) werden über die Umstände der Tat befragt. Maria glaubt an einen Anschlag und steht unter Schock. Sie überwirft sich mit ihrer Mutter, die aus ihrer Abneigung gegen Tillmann keinen Hehl macht. Als Maria durch das nächtliche Ludwigshafen streift, kreuzt sich ihr Weg mit dem der flüchtigen Hedwig. Die beiden wissen nichts voneinander. Ihnen gemeinsam: Sie haben für die Nacht keine Bleibe…

Rechte gegen Linke – Tom Bohn rückt nicht den Kampf in den Mittelpunkt, er benutzt die politischen Ideologien vor allem als Mittel, um die zunehmende Entfremdung und Spaltung innerhalb unserer Gesellschaft darzustellen. Und um zu zeigen, wohin die Unversöhnlichkeit und zunehmende Radikalisierung münden kann: in blanke Gewalt. Der Filmemacher („Straight Shooter“) erzählt seine Geschichte weniger über das Opfer und den vermeintlichen Täter, sondern – eine feine Idee! – über zwei Frauenfiguren: die „rechte“ Hedwig und Maria, die Freundin des getöteten „Linken. Für Bohn ist dieses Aufeinandertreffen auch ein utopischer Moment, er führt die beiden zusammen, auch wenn er lange damit spielt, dass sie sich nicht wissen, wer die andere ist. Die rechtsradikale Hedwig ist auf der Flucht, hat niemanden, braucht Hilfe. Die Trauerende Maria hat sich mit ihrer Mutter entweit, ist auch allein, sucht Trost und ein Dach über dem Kopf. So werden die Frauen aus unterschiedlichen Lagern zu einer Schicksalsgemeinschaft, die es nie geben würde, würden sie mehr übereinander wissen. Damit spielt das Krimidrama geschickt, nur langsam kommt der Hintergrund und damit die Wahrheit ans Licht. Die Begegnung der Frauen schafft intensive, atmosphärisch dichte und spannende Momente – inklusive des Showdown im Hotelzimmer.

Tatort – HetzjagdFoto: SWR / Patricia Neligan
Gute Buch-Idee, dramaturgisch überzeugend & stark gespielt: Der Zufall hat sie zusammengebracht, nun teilen sich Maria (Anna Herrmann) & Hedwig (Anna-Maria Lux) ein Hotelzimmer. Dass sie nichts übereinander wissen, macht tröstende Nähe möglich.

Der „Tatort – Hetzjagd“ thematisiert zudem das Dilemma der Polizeiarbeit, die erst dann eingreifen kann, wenn etwas passiert (ist). Im Fall Tillmann ist es zu spät, Polizeischutz wurde abgelehnt. Diesen Zwiespalt drückt Lena Odenthal sehr emotional aus. Ihr Kampf gegen „bürokratische Windmühlen“ ist nicht neu im SWR-„Tatort“. Beruhigt hat sich die Lage der Kommissarin an der Zickenfront. Mäanderte man lange umher, was das Verhältnis Lena zu Kollegin Johanna Stern betrifft, so scheinen sich die beiden nun gefunden zu haben. Kein Zickenkrieg mehr, ein Mit- statt ein Gegeneinander. Die eigentliche Story ist nicht immer ganz schlüssig und klischeefrei. Den Bereich mit dem Verfassungsschutz hätte man sich schenken können. Oliver Stritzel müht sich als Verfassungsschützer Leonardt. Diese Figur kommt äußerst ungelenk und stereotyp rüber, wirkt zuweilen wie ein Fremdkörper in der Geschichte, die man als ein Familiendrama mit politischem Überbau bezeichnen könnte.

„Hetzjagd“ ist ein Krimi, der zu viel will. Zwar ist er durchweg spannend, vieles bleibt aber auch sehr erwartbar. Was gefällt sind die beiden jungen Darstellerinnen der Maria und der Hedwig. Anna Herrmann stand schon als Kind in der RTL-Frauenknast-Serie „Hinter Gittern“ vor der Kamera, spielte 2019 im Berliner „Tatort – Der gute Weg“. Auch Anne-Marie Lux hat schon ein wenig „Tatort“-Erfahrung, spielte schon im letzten Lena- Odenthal-Krimi „Unter Wölfen“, da aber eine deutlich kleinere Rolle. Zwei Frauen zwischen Wut & Trauer, zwischen Rache & Fanatismus – diese Beziehung ist das Bemerkenswerteste in einem ansonsten eher durchschnittlichen Krimi aus Ludwigshafen. Für Fans von Clueso ist er dennoch etwas Besonderes. Denn der Musiker hat einen Auftritt, spielt sich selbst. „Es war mein erster Einsatz als ‚Schauspieler‘, wobei ich mich keinesfalls als einen solchen bezeichnen würde“, sagt er, „Musik ist und bleibt mein Leben. Aber der ‚Tatort‘ ist natürlich eine Institution, etwas, mit dem jeder aus meiner Generation und denen davor verbinden kann. Das war ein großer Reiz. Und meine Eltern finden das bestimmt spannender als meine TikTok-Videos.“

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Reihe

SWR

Mit Ulrike Folkerts, Lisa Bitter, Anna Herrmann, Anne-Marie Lux, Valerie Niehaus, Oliver Stritzel, Mats Kampen, Daniel Noel Fleischmann, Peter Esperloer, Annalena Schmidt, Petra Mott, Sebastian Fräsdorf, Clueso, Tom Sommerlatte

Kamera: Cornelia Janssen

Szenenbild: Söhnke Noé

Schnitt: Isabelle Allgeier

Musik: Hans Franek

Redaktion: Ulrich Herrmann (SWR)

Produktionsfirma: südwestrundfunk

Produktion: Nils Reinhardt

Drehbuch: Tom Bohn

Regie: Tom Bohn

Quote: 9,16 Mio. Zuschauer (25,6% MA)

EA: 14.02.2021 20:15 Uhr | ARD

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