Katja Braun war kein Kind von Traurigkeit. In jungen Jahren war sie Polizistin, quittierte allerdings den Dienst – und liegt jetzt nackt in einem Gebüsch mitten in Münster. Tags zuvor pumpte sie Boerne noch um Geld an. Wenn der Pfennigfuchser 1000 Euro herausrückt – dann muss da mehr gewesen sein… „Die Braun war ein heißer Feger“, bestätigen die Kollegen. Zuletzt fegte sie die Dielen in der Kneipe nebenan und trank gerne mal zwei Flaschen Wein am Abend. Katja Braun war geschieden. Mit ihrem Ex stritt sie sich regelmäßig um den Unterhalt, von ihrer hochbegabten Teenager-Tochter wurde sie verachtet („du versoffene, alte Putze!“) und dann war offenbar auch noch jener Heinz Kock, genannt Hinkebein, hinter ihr her – den sie einst hinter Gittern brachte. Von dem sieht sich auch Boerne massiv bedroht. Der Gerichtsmediziner war maßgeblich mit daran beteiligt, dass damals mit Kock kurzer Prozess gemacht wurde. Ist der jahrelang in Vietnam Untergetauchte gekommen, um Rache zu üben oder will er rehabilitiert werden? Für Thiel kein leichter Fall: Boerne winselt um Personenschutz, die Staatsanwältin lässt den Hauptverdächtigen entkommen, Kollegin Krusenstern verliebt sich in einen „Russkie“ – und überhaupt, diese Delegation aus Russland, die stehen nur blöd herum und halten Kommissar Thiel von seinen Ermittlungen ab!
Die Autoren über die dramaturgischen Herausforderungen des Münsteraner „Tatort“:
„Es gilt, beim Konzipieren immer wieder einen Dreh zu finden, dass Gerichtsmediziner Boerne und Kommissar Thiel sich über 90 Minuten gemeinsam mit einem Fall befassen und mit ihren Erkenntnissen ‚paritätisch’ zur Überführung des Täters beitragen. Boernes Drang, sich über sein Sachgebite hinaus in Thiels Arbeit einzumischen, muss in jeder Geschichte neu motiviert sein… Nicht ohne Grund wohnen die beiden in einem Haus. Ohne diesen dramaturgischen Kniff der räumlichen Nähe wäre das Duo in dieser Form nicht zu erzählen.“
„Hinkebein“, der 21. Thiel-Boerne-Fall, vereint die Stärken und Schwächen, die dem Münsteraner „Tatort“ eigen sind. Die Story muss immer ein bisschen künstlich hingebogen werden, damit sich die Spielchen zwischen Brummelkopf-Kommissar und Professor Wichtigtuer entfalten können. Daraus hat sich ein Ritual entwickelt, dem regelmäßig fast zehn Millionen Zuschauer gerne folgen – der ganz große Einzelwurf allerdings blieb bisher aus. Auch der Schmunzelkrimi von Manfred Stelzer nach dem Drehbuch von Stefan Cantz und Jan Hinter lässt sich prima „weggucken“. Durchgängig gut besetzt mit Michelle Barthel („Keine Angst“) als dramatischem Höhepunkt, in einer klaren Bildsprache, unaufgeregt filmisch aufgelöst, nimmt der Film seinen abwechslungsreichen Gang. Der Zuschauer ist den Ermittelnden zumeist eine Beinlänge voraus. Die Auflösung am Ende kommt dann allerdings doch etwas überraschend – auch wenn der Mörder nicht gänzlich aus dem Hut gezaubert wird. Neben einigen putzigen Gags sorgen kleine Zitate und musikalische „Anspielungen“ für gute Stimmung beim Kritiker: ein Ausschnitt aus „Die Drei von der Tankstelle“, begleitet vom bekanntesten Song dieser legendären Tonfilmoperette, ein Joint von Thiel senior zu Iggy Pops „The Passenger“ und ein paar Dialog-Anspielungen auf die beiden besten Komödien des besten deutschen Regisseurs aller Zeiten, Ernst Lubitsch, sind bei diesem klaren Dreieinhalb-Sterne-„Tatort“ durchaus einen halben Stern mehr wert! (Text-Stand: 13.2.2012)