Selbst die Schöpfer des „Tatort“-Duos aus Münster, das Autorenteam Stefan Cantz und Jan Hinter, sind gelegentlich in die Klamaukfalle getappt: Oft genug wirkten die Drehbücher, als gelte es in erster Linie, für fröhliche Dialogduelle zwischen Jan Josef Liefers als blasiertem Rechtsmediziner Boerne und Axel Prahl als bodenständigem Hauptkommissar Thiel zu sorgen; die Handlung war dann bloß Mittel zum Zweck. „Schlangengrube“ findet dagegen den richtigen Mittelweg. Die Krimiebene ist originell und abwechslungsreich, und für die komischen Momente sorgt eine neue Ambition des Professors: Boerne will Fernsehstar werden. Dazu soll ihm das leicht makabre Konzept für eine Kochshow über „forensische Küche“ verhelfen: „Boerne kocht“ kombiniert spektakuläre Mordfälle mit passenden Menüs („übertötetes Rinderfilet nach Art des Axtmörders“); ein Augenzwinkern in Richtung der TV-Karriere des Kollegen Michael Tsokos („Dem Tod auf der Spur – Die Fälle des Prof. Tsokos“).
Ausgerechnet der laut Boerne „’Einmal Döner mit allem’-Banause“ Thiel hilft ihm mit nicht ganz ernst gemeinten Tipps – hier eine Prise Kaffee, dort ein Hauch Lakritz –, den Gerichten den letzten Pep zu geben. Der eigentliche Fall hat ebenfalls ein gewisses Extra, auch wenn die Ermordung einer unheilbar an Krebs erkrankten Frau zunächst wie ein gewöhnlicher Krimi wirkt. Die Dame war eine große Gönnerin des örtlichen Zoos, dem sie offenbar auch ihr nicht unbeträchtliches Vermögen vermachen wollte. Da das Testament jedoch gestohlen worden ist, würde die gesetzliche Erbfolge in kraft treten, was ihre Halbschwester prompt zur Hauptverdächtigen macht. Schon der dank Kamera, Schnitt und Musik fesselnd inszenierte Auftakt deutet allerdings an, dass der Mord ganz andere Gründe haben könnte: Das Opfer hat akribisch Buch darüber geführt, dass im Zoo in letzter Zeit auffallend viele Tiere verschwunden sind. Weil Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann) dafür sorgt, dass aus Thiels geplanter holländischer Radtour mit „Vadder“ (Claus D. Clausnitzer) nichts wird, verdingt sich der Kommissar als Tierpfleger im Zoo und kommt gemeinsam mit Boerne einer ganz miesen Form des Tierhandels auf die Spur. Wie es Cantz und Hinter gelingt, am Ende wieder den Bogen zu „Boerne kocht“ zu schlagen, ist ziemlich verblüffend.
Neben der unvorhersehbaren Geschichte sind vor allem die Dialoge ein großes Vergnügen. Der Esprit der Wortgefechte scheint auch Liefers und Prahl angesteckt zu haben; es hat schon Krimis aus Münster gegeben, in denen die beiden etwas amtsmüde wirkten. Einzige Schwäche der Geschichte ist der Versuch, Wilhelmine Klemm etwas in den Vordergrund zu rücken: Die Tote war ihre Nachbarin und Besitzerin diverser Katzen, die sich gern mal in Klemms Wohnung verirrt haben. Weil es außerdem noch einen Rechtsstreit gab, gilt die Staatsanwältin als befangen und muss den Fall einer Kollegin mit dem schönen Namen Ungewitter (Tessa Mittelstaedt) überlassen. Da die beiden Damen um den Posten des leitenden Staatsanwalts konkurrieren, erklärt Ungewitter die Mitbewerberin kurzerhand zur Verdächtigen. Die Scharmützel zwischen den beiden Frauen sind zwar leidlich amüsant, zumal der Kontrast – die eine düster, die andere hell – noch durch die Kleidung betont wird, aber auch das ändert nichts daran, dass dieser Teil des 13. Drehbuchs, das Cantz und Hinter für den „Tatort“ aus Münster geschrieben haben, ziemlich konstruiert wirkt. Letztlich stört das aber nicht weiter, zumal es viele kleine Ideen gibt, die großen Spaß machen, wenn Thiel zum Beispiel mit der Nasenspitze über sein Smartphone wischen muss, weil er gerade sein Fahrrad Urlaubs-tüchtig macht entsprechend schmutzige Finger hat, oder wenn die Kamera stoisch von außen beobachtet, wie er und Boerne vorm Finale orientierungslos durch ein Gebäude irren.
Zusatz-Info: Der Film wurde unter anderem auf einem ehemaligen Militärgelände bei Neuss gedreht. 2004 eröffnete hier das futuristische Kunst- und Ausstellungshaus der Langen Foundation. Der Entwurf des Gebäudes, das viel Sichtbeton, Stahl und jede Menge Glas zu bieten hat, stammt von dem japanischen Architekten Tadao Ando. Neben wechselnden Präsentationen aus den Sammlungs-Beständen sind hier auch Ausstellungen zeitgenössischer Kunst zu sehen.
Regie führte Samira Radsi, die bislang vor allem Serien inszeniert hat, darunter aber immerhin auch „Deutschland 83“ sowie die internationalen Produktionen „No Offence“ und „Ice“. Einzige Fernsehfilme waren die beiden ersten Episoden aus der ARD-Krimireihe „Die Füchsin“. Ihr erster „Tatort“ zeichnet sich nicht zuletzt durch die Bildgestaltung aus, weil Kameramann Stefan Unterberger die Aufnahmen dank ihrer Schärfentiefe sehr aufwändig wirken lässt. Eine Stärke Radsis ist offenkundig die Schauspielerführung. Die beiden Stars muss man vermutlich ohnehin eher bremsen, aber auch bei den Nebenfiguren hat sie erfolgreich verhindert, dass weniger bekannte Darsteller versuchen, aus kurzen Auftritten die Rolle ihres Lebens zu machen. Andererseits fällt auf, wie namhaft das Ensemble des Films ist: Felix Vörtler spielt den Zoodirektor, Dirk Martens einen Tierarzt, und Thomas Arnold hat einige amüsante Momente als Regisseur einer dieser Zoo-Soaps, mit denen die ARD ihr Nachmittagspublikum erfreut; noch so ein kleiner Seitenhieb, diesmal in eigener Sache. Am schillerndsten ist allerdings der Mann, der Boernes Traum verwirklichen soll: Der Schweizer Robert Hunger-Bühler verkörpert den Chef einer großen europäischen Mediengruppe als klassischen Impresario mit ausgefallenen Vorlieben. Die Szenen mit dem Medienunternehmer sind schon deshalb etwas Besonderes, weil sie an einem einzigartigen Drehort entstanden sind. Konkurrenzloser Star des Films ist jedoch der tatsächlich im Allwetterzoo von Münster lebende fernseherfahrene Pinguin Sandy („Pinguin, Löwe & Co.“), der Thiel zu seinem Alphatier kürt und großen Anteil daran hat, dass Finale nicht nur wegen des Nervenkitzels, sondern auch in emotionaler Hinsicht spannend wird. (Text-Stand: 3.5.2018)