Diese Welt ist so schön und bunt, so voller Musik und zauberhafter Momente. Aber sie hat auch düstere Ecken und verbotene Zonen, in denen der gesellschaftliche Bodensatz lebt. Paula (Fine Sendel) ist in eine Welt zwischen diesen beiden Extremen hineingeboren und sucht nach ihrem Weg ins Leben. Ihren Vater hat sie nie kennen gelernt, er sei tot, war ein ganz toller Mann, lässt ihre Mutter (Jule Böwe) sie öfter wissen, als es ihr lieb ist. Und überhaupt: Für Paula ist diese farblose, antriebsschwache und einsilbige Frau alles andere als ein Vorbild. Sie möchte heraus aus dieser Mittelmäßigkeit, mehr so wie ihr Vater werden. Und so macht sie sich auf die Suche nach ihren Wurzeln, möchte erfahren, was es bedeutet, er sei beim „Massaker“ ermordet worden. Es genügt ihr nicht mehr, die gebetsmühlenhaften Sätze ihrer Mutter zu hören: „Irgendwo zwischen den Schnitten, da sitzt er jetzt und schaut uns zu.“
„The Ordinaries“, der Abschlussfilm von Sophie Linnenbaum („Deutscher“) an der Filmuniversität Babelsberg, ist ein dystopisches Coming-of-age-Drama, das voller kinematografischer Ideen steckt und deshalb vor allem filmisch fasziniert. Nicht weniger bemerkenswert ist die Geschichte, in der eine Gesellschaft entworfen wird, die sich durch Abgrenzung und massive Ausgrenzung definiert. Linnenbaum entwirft eine Dreiklassen-Gesellschaft und arbeitet dafür mit Begrifflichkeiten aus der Welt des Films. Da gibt es die Hauptfiguren, strahlend, erfolgreich, mit markanter Biographie, Helden, die das ganze Gefühlsrepertoire auszuschöpfen wissen. Die Masse der Nebenfiguren bevölkert die breite Mitte; hier herrschen eine Monotonie und ein Alltagsgrau, die etwas Totalitäres, Fremdgesteuertes ausstrahlen. Kein Wunder, dass sich Linnenbaums Hauptfigur zu Höherem berufen sieht – und die Schule für Hauptfiguren besucht. Sie steht kurz vor ihrer Abschlussprüfung. Sie gehört zu den Besten; allein die Darstellung großer Gefühle will ihr nicht gelingen. Deshalb auch die Suche nach ihrem familiären Ursprung. Den Weg dorthin weist ihr das Hausmädchen (Henning Peker) der Coopers (Denise M’Baye, Pasquale Aleardi), der Familie von Paulas bester Freundin (Sira Faal). Hausmädchen Hilde gehört zur dritten Klasse, denen, die im Schatten leben – filmisch gesprochen: Outtakes, „Rausgeschnittene“, leibhaftige Jump Cuts, textlose Kreaturen, Fehlbesetzungen, die in Elendsquartieren leben, in entmenschlichten Fabriken für Hintergrundgeräusche schuften und in Kaschemmen abhängen. Paulas Reise zu sich selbst führt geradewegs dorthin.
„The Ordinaries“ verführt nicht nur durch seine visuelle Gestaltung, der Film ist auch reich an Sinnbildern, Metaphern und sozial(kritisch)en Subtexten. Das macht den 110-minütigen Film zu einem außergewöhnlichen Debüt-Langfilm, macht ihn – nachdem der erste Zauber, erzeugt durch nostalgische Filmausschnitte und augenzwinkernde Musicaleinlagen, verflogen ist – allerdings auch etwas anstrengend. Als Zuschauer staunt man über die Kraft der Bilder, die Arbeit aller Gewerke, aber die Geschichte erweckt kaum tieferes Interesse. Dafür ist das Motiv der Heldinnenreise zu spannungs- & überraschungsarm und ist eine „Nebenfigur“ wie die Mutter dafür, dass der Film sie zwischenzeitlich fast zu einer Hauptfigur macht, im buchstäblichen Sinne einfach zu blass. Und so dominiert im etwas zu langatmigen Mittelteil des Films das Konzeptionelle über das Sinnliche, das Parabelhafte über psychologische Zwischentöne. Es mag paradox klingen, aber der Film, in dem es um Hauptfiguren, Nebenfiguren und Outtakes geht, ist alles andere als character driven. Die Dystopie mit Begriffen aus Filmtheorie & -praxis zu belegen, sorgt hingegen für stimmige Gags, die dem Film sogar einige Experimentalfilmmomente schenken, wirkt aber mitunter auch etwas gewollt, als habe man versucht, möglichst viele dieser Fachtermini im Film unterzubringen. Der erfrischend klassenkämpferische Schlussteil, in dem ein emotionales Plädoyer der Heldin nicht fehlen darf, ist dann wieder ähnlich mitreißend wie die originellen Eingangssequenzen.