Transfer

Rehberg, Andree, Hain, Kurtulus, Lukacevic. Totale Kommerzialisierung der Identität

Foto: ZDF / Peter Hollenbach
Foto Thomas Gehringer

Das betagte Liebespaar Anna und Hermann kann dank eines neuartigen Verfahrens der Firma Menzana in die Haut junger, gesunder Afrikaner schlüpfen. Das futuristische Szenario eines Persönlichkeitstransfers erscheint hier keineswegs abwegig, sondern als faszinierendes Gedankenspiel. „Transfer“ ist eine schlüssig und stilsicher inszenierte Science Fiction, ein spannendes, sinnliches Spiel mit Identitäten, durchaus geeignet für Philosophie- und Ethikkurse. Starke Besetzung, aber auch einige übertrieben melodramatische Dialoge.

Anna und Hermann Goldbeck sind wohlhabend und unzertrennlich, ein Liebespaar auch im hohen Alter. Die Vorstellung, einer könne vor dem anderen sterben, ist ihnen unerträglich. Aber es gibt eine Möglichkeit, ihr Leben und ihre Liebe zu verlängern: der Persönlichkeits-Transfer der Firma Menzana. Ihre Identität – Bewusstsein, Verstand, Gefühle, Erinnerungen – werden auf zwei andere Körper von jungen und gesunden Menschen übertragen. Im Fall der Goldbecks auf Sarah aus Äthiopien und Apolain aus Mali. Beide seien „makellos“, versichert Dr. Menzel von Menzana. Gegen die Bedenken der Goldbecks argumentiert sie mit dem Hinweis, dass die beiden Afrikaner durch den Vertrag mit Menzana ihre Familien ernähren könnten. „Glaubst du wirklich, dass Menschen sich auf so etwas freiwillig einlassen?“, gibt Hermanns bester Freund Otto zu bedenken. Doch die Verlockung ist zu groß, zumal Anna krebskrank ist und nur noch zwei oder drei Monate zu leben hat. Die Goldbecks, wenn man so will, „ziehen um“ und sind nun wieder jung und tatkräftig. Ihre alten Körper werden – wenn alles gut läuft – nach einer „Probezeit“ von drei Monaten verbrannt.

TransferFoto: ZDF / Peter Hollenbach
Argumente für den Transfer. Dr. Menzel (Jeanette Hain) preist Menzana.

„Transfer“ ist ein faszinierendes Gedankenspiel, das Damir Lukacevic nach einer Kurzgeschichte von Elia Barceló in sich schlüssig und stilsicher inszeniert hat. Ein „philosophischer“ Science-Fiction-Film, der eine ganze Reihe ethischer Fragen aufwirft und von einer neuen Form der Ausbeutung in der Zukunft erzählt. Von Menschen aus der Dritten Welt als Reservoir für die Menschen aus der Ersten Welt, die sich ihren Wunsch nach einem längeren Leben erfüllen wollen. Ein Jungbrunnen, den sich natürlich nur die Reichen leisten können, denn ein „Transfer“ kostet 1,5 Millionen Euro. Es geht nicht mehr nur um Organraub, sondern um die totale Kommerzialisierung menschlicher Identität.

Lukacevic arbeitet mit einer kühlen Optik und einer klaren Farbsymbolik. Das Schwarz-Weiß-Motiv, das den Gegensatz zwischen Arm und Reich spiegelt, findet sich auch im Szenenbild, in der Ausstattung der Menzana-Zentrale und der Goldbeck-Villa, sowie in den Kostümen wieder. Strahlend und lichtdurchflutet ist die Welt der Wohlhabenden, aber auch kalt und keimfrei wie in der „Transfer“-Fabrik. Sarah und Apolain dagegen erwachen in der Dunkelheit, für einige Stunden in der Nacht beherbergen die Körper vertragsgemäß wieder ihre eigentlichen „Besitzer“. Das führt zu Verwicklungen und einem facettenreichen Spiel mit den verschiedenen Identitäten. So führt Anna seit jeher Tagebuch und beginnt, an Sarah zu schreiben. Die beiden Frauen kommen sich auf diese Weise näher, während Apolain, der als politischer Gefangener von Menzana „akquiriert“ wurde, gegen seine Lage aufbegehrt und Hermann zwar den topfiten Zustand seines neuen Körpers genießt, aber seine Vorbehalte gegen „Neger“ nicht beiseite schieben kann. Auch Apolain & Sarah sind sich anfangs fremd. Dass es zwischen den beiden funkt – und Sarah schwanger wird, mag vorhersehbar sein. Aber wer ist hier der Vater, wer die Mutter? Ist vielleicht gar ein Leben zu fünft vorstellbar?

TransferFoto: ZDF / Peter Hollenbach
Apolain (BJ Britt) trainiert seinen Körper für seine wohlhabenden Käufer.

Die Doppelrollen spielen die US-Schauspieler Regine Nehy und BJ Britt – eine anspruchsvolle Aufgabe, denn Anna & Sarah bzw. Hermann und Apolain unterscheiden sich im Wesentlichen durch Nuancen in Körperhaltung und Sprache (beide Schauspieler wurden synchronisiert, was zusätzlich befremdet). Kompliziert, aber auch spannend wird es, als Sarah und Apolain beginnen, in das fremde Terrain vorzudringen und sich – in den eigenen Körpern – als Anna und Hermann auszugeben. Um das Verständnis zu erleichtern, gibt das Sounddesign klare Motive für die Figuren vor, was jedoch bisweilen aufdringlich erscheint, selbst wenn es sich um gefühlvolle Cello-Passagen handelt. Auch einige Dialoge rutschen ins Melodramatische ab.

Gelungen aber die (prominente) Besetzung der übrigen tragenden Rollen: Hans-Michael Rehberg und Ingrid Andree sind das zärtliche Liebespaar und haben einige berührende Szenen. Jeanette Hain als kühl-freundliche Dr. Menzel ist eine Mischung aus esoterischer Fee und arisch-faschistoider Horrorlady. Und dann ist da noch Mehmet Kurtulus, ebenfalls in einer Doppelrolle: Laurin überwacht den Alltag in der Goldbeck-Villa nach dem „Transfer“ und ist selbst ein Transferierter, tagsüber selbstbewusst und höflich, nachts ein überforderter Autist. Damit wird noch eine weitere denkbare – und zynische – Variante eines solchen Persönlichkeits-Transfers ins Spiel gebracht: die Nutzung des Körpers eines „Behinderten“. Der Film hat, ohne übertrieben didaktisch zu sein, allemal das Zeug zum spielerischen Lehrmaterial in Philosophie- und Ethik-Kursen. (Text-Stand: 19.7.2013)

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Kinofilm

Arte, ZDF

Mit Regine Nehy, BJ Britt, Hans-Michael Rehberg, Ingrid Andree, Jeanette Hain, Mehmet Kurtulus, Ulrich Voß

Kamera: Francisco Dominguez

Musik: Enis Rotthoff

Sounddesign: David Ziegler, Thomas Neumann

Produktionsfirma: Schiwago Film

Drehbuch: Damir Lukacevic, Gabi Blauert

Regie: Damir Lukacevic

EA: 12.10.2012 21:50 Uhr | Arte

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