Die Kamera strauchelt im Blair-Witch-Modus, ein Mädchen ruft. Magda soll vom Felsen runter. Aber Magda hört nicht. Sie tanzt, breitet die Arme aus und ist im nächsten Moment wie vom Erdboden verschluckt. Chaos und Schreie, die Kamera schwenkt mehrmals über die Lichtung. Nach dem Schnitt kommt das Bilderstraucheln auf einem Foto von Magda kurz zur Ruhe. Das Porträt bildet das Zentrum eines Puzzles. Die „Crazy Wall“, die inzwischen zur Standardausstattung vieler Krimis gehört, frisst sich über die Wohnzimmerwand von Lara Glanz (Rosalie Thomass). Wie viele Laienermittler mit hohem Leidensdruck vor ihr hangelt sich Lara an Zeitungsausschnitten, Fotografien und Kinderbildern entlang. Die Kamera tut es ihr gleich und liefert dem Zuschauer dabei erste Hinweise und (falsche) Fährten. Ein roter Faden verbindet die Fundstücke an der Wand. Die Verknüpfungen sind wahllos.
Foto: WDR / Guido Engels
Lara Glanz ist eine vernünftige Frau. Weil Magdas Mutter seit einer Verzweiflungstat im Gefängnis sitzt, ist die Pianistin in die Heimat zurückgekehrt, hat eine Stelle als Musiklehrerin angenommen und sucht nach ihrer verschwundenen Nichte. Sich selbst immer wieder zur Ruhe mahnend, kämpft sie sich ins Dunkel vor. Ganz klar: Rosalie Thomass ist das Licht. Heller Teint, blonde Haare, dazu Grobstrick-Pullover in Pastellfarben und ein rosa-grauer Mantel, der sie umhüllt. Von Nervosität sprechen nur die zitternden Finger unterm Saum. Am Klavier finden sie Ruhe. Auch akustisch bildet Laras klares Spiel den Kontrast zum vorherrschenden Sound. Draußen heult und wimmert es. Draußen findet Lara wenig Vertraute. Eher weisen ihr Zeichen den Weg. Das Amulett an ihrer Halskette taucht in Variationen auf, dazu geritzte Schriftzeichen und Schatten in Spiegeln. Eine der wenigen Rückblenden zeigt, wie die kleine Lara ihre Kette bekommt. „Pass gut darauf auf“, sagt ihr Vater. Der erwachsenen Lara begegnet dann ein alter Zausel. Er zeigt mit dem Finger auf sie: „Du bist es“. Das sagt auch der Blick ihres verstockten Schülers Aaron (Laurids Schürmann). Auch er war zwei Tage weg. Seitdem spricht er mit Bäumen und kann anderen den Tod einhauchen.
Foto: WDR / Guido Engels
„Wäldern“ verlässt sich ganz auf den Gegensatz zwischen aufrechter Heldin und Boten aus der bösen Welt. Auch Magdas Mutter, von Laras Eltern einst adoptiert, könnte zur anderen Seite gehören. Wie Schneeweißchen und Rosenrot sitzen sich die Schwestern Lara und Greta (Narges Rashidi) im Besucherraum des Gefängnisses gegenüber. Das leibliche Kind und die Adoptivtochter kämpfen sich durch vermintes Gelände in ihre Kindheit zurück. Die Eltern gingen nach einer Krebsdiagnose in den Freitod. Greta spricht auch über das Verschwinden von Lara. Mit acht Jahren war sie für 24 Stunden in der anderen Welt. Lara erinnert sich an nichts. Und so geht die Suche weiter. Scheinbar ewig, auf jeden Fall zu lang. Mit Hilfe der esoterisch begabten Dorothea (Sabine Vitua), eines emeritierten Professors (Peter Franke) und dem verzweifelten Vater (Moritz Führmann) der ebenfalls verschwundenen Merle tastet sich Lara zur Quelle vor. Die unbewachte Tür liegt in Laras verlassenem Elternhaus, wo Türen quietschen und dunkle Stimmen aus dem Keller raunen.
Ohne das Ende (des Anfangs) von „Wäldern“ vorwegzunehmen: Verhalten und Blicke der Protagonisten verraten schnell, in welche Welt sie gehören. Das allein ist wenig spannend. Auf der anderen Seite bleibt zu viel ungeklärt. Fantasiebegabte Zuschauer mögen sich ihren Reim auf die Andeutungen machen. Ärgerlich wird es dort, wo sich das Drehbuch scheinbar wahllos bei mystischen Erzählungen und wirklichen Katastrophen bedient. Da werden Geheimschriften der Etrusker zu Rate gezogen, dann wieder ist die Flutkatastrophe im Ahrtal der Anfang allen Schreckens. Am Ende ist einer wieder weg, Magda noch nicht da, Laras Schwester nicht mehr in ihrer Zelle und eine Botin des Bösen gegen die echte Merle ausgetauscht. Die Hoffnung stirbt zuletzt. (Text-Stand: 23.8.2024)