Apropos Glück

Striebeck, Müller-Elmau, Eichhorn, Ruppert, Ulrike Grote. Von der Leine gelassen

Foto: ZDF / Georges Pauly
Foto Tilmann P. Gangloff

Kann man mit Ende 40 noch was wollen im Leben? Ist ein Neuanfang möglich? Wo hört die Selbstverwirklichung auf und wo fängt die Verantwortungslosigkeit an? Der tragikomische ZDF-Frauenfilm „Apropos Glück“ bietet eine Menge Stoff zum Nachdenken: An ihrem Geburtstag entdeckt Maja, Mitte vierzig, dass ihr Mann eine Affäre hat. Ihre Freundinnen sind schon einen Schritt weiter: Die Geburtstagsfeier wird zum Tag der Abrechung zwischen Ehemännern & Ehefrauen. Astrid Ruppert hat das lebenskluge Buch zu diesem Ensemblefilm geschrieben, das die Regisseurin und gelernte Schauspielerin Ulrike Grote mit erkennbarer Lust und einigen Freiheiten für ihre Kolleginnen und Kollegen locker umgesetzt hat.

Wenn eine Frau ausgerechnet an ihrem Geburtstag herausfindet, dass ihr Mann sie betrügt, kann aus der Geschichte trotzdem noch eine Komödie werden. Aber die Drehbücher der früheren Degeto-Redakteurin Astrid Ruppert („Obendrüber, da schneit es“) gehören ohnehin eher in jene Drama-Kategorie, die Sender gern als „zartbitter“ beschreiben, sind also allenfalls tragikomisch. „Apropos Glück“ tendiert sogar in Richtung Antikomödie, denn am Geburtstag von Maja (Janna Striebeck) kommt es zu einer regelrechten Kettenreaktion: Drei bröckelnde Beziehungsfassaden drohen einzustürzen. Dabei verspricht der flott geschnittene Auftakt eine typische kurzweilige Donnerstagsproduktion im ZDF. Im Mittelpunkt stehen drei Hamburgerinnen. Die eine (Striebeck) hat alle Hände voll mit den Vorbereitungen für einen fröhlichen Abend im Kreis ihrer Freunde zu tun, die zweite (Karoline Eichhorn) weiß nicht, was sie anziehen soll, die dritte (Katharina Müller-Elmau) muss noch eine Arbeit beenden, bevor sie sich auf den Weg macht. Vor Ort sind dann alle ziemlich aufgekratzt, wollen witzig sein: Letztes Polieren der Ehefassade, dann geht es ans Eingemachte. Als Zuschauer spielt man Mäuschen und fühlt sich wie jemand, der nüchtern unter fröhliche Zecher geraten ist.

Der unverfängliche Small Talk unter Freunden kippt, als die Beteiligten darüber sinnieren, was sie jeweils unter Glück verstehen. Für den protestantischen Theologen Jan (Joachim Raaf) zum Beispiel ist Glück die Realisierung seines Jugendtraums: Er wollte immer Pfarrer werden, und deshalb hat er sich für die Stelle in einer Landpfarrei beworben; Gattin Jule (Eichhorn) fällt aus allen Wolken, denn davon wusste sie nichts. Die Stimmung ist bereits im Keller, als endlich auch Angela (Müller-Elmau) auftaucht und von ihrem Mann (Peter Jordan) ausgesprochen frostig begrüßt wird; er ärgert sich schon lange darüber, dass ihr die Arbeit wichtiger ist als die Familie. Prompt erwischt es auch das dritte Paar: Maja wird zufällig Zeugin, wie Ehemann Florian (Martin Lindow) mit seiner Geliebten telefoniert. „Ins Wasser gefallen“ ist nur eine unzureichende Beschreibung für den Verlauf, den die Geburtstagsfeier genommen hat, auch wenn draußen passend zur Stimmung ein Wolkenbruch niedergeht; und aus dem Film, der wie eine Komödie ausgesehen hat, ist ein waschechtes Drama geworden.

Apropos GlückFoto: ZDF / Georges Pauly
Geburtstag mit Freunden. Maja (Janna Striebeck), Jan (Joachim Raaf), Hans (Peter Jordan), Jule (Karoline Eichhorn) und Majas Mann Florian (Martin Lindow) (v.r.n.l.) „Nach außen hin alles perfekt, und wenn man genauer hinguckt…“ (Jule im Film)

Soundtrack: Zaz („La Vie En Rose“, “Comme Ci, Comme Ca”), Eurythmics & Aretha Franklin („Sisters Are Doin’ It For Themselves“), Bright Eyes („We Are Nowhere And It’s Now“), Martha Wainwright (“Bloody Motherfuckin’ Asshole”), Aimee Mann (“Wise Up”, “One”), Marvin Gaye & Tammi Terrell (“Ain’t No Mountain High Enough”), Isis Graham (“Free”), Gitte Haening („Ich bin stark“)

Fortan beobachten Grote und Ruppert, wie die drei Frauen, alle ungefähr Mitte vierzig und somit in jeder Hinsicht mitten im Leben, mit den neuen Situationen umgehen. Am meisten mitgenommen reagiert das Geburtstagskind; die Ereignisse haben Maja völlig unvorbereitet getroffen. Janna Striebeck spielt diesen Zustand der Schockiertheit überaus glaubwürdig und uneitel: Nach viel Alkohol und wenig Schlaf sieht sie am Morgen danach völlig fertig aus. Striebeck lotet die Rolle ohnehin bis zur bitteren Neige aus und darf sich richtig austoben, als Maja erst Florians Klamotten vom Balkon wirft und dann in einem Wutanfall das komplette Wohnzimmer demoliert. Angela reagiert erwachsener: Sie konfrontiert Hans mit dem Wunsch, das im Mittelmaß erstarrte gemeinsame Dasein zu beenden. Einzig Jule ist noch unentschlossen. Sie will dem Lebenstraum, der Berufung, ihres Mannes nicht im Weg stehen, hat aber auch keine Lust, aufs Land zu ziehen; außerdem ist sie komplett unreligiös.

Ähnlich wie zuletzt in „Was im Leben zählt“, der Fortsetzung zu „Obendrüber…“, erzählt Ruppert eher episodisch, wie die Frauen mit den Konflikten umgehen. Maja, immer noch untröstlich, lässt sich hinreißen und wälzt sich in leidenschaftlicher Umarmung mit Hans auf dem Sofateppich, als Angela vor der Terrassentür steht. Später wiederholt sich die Szene in etwas anderer Form, nun ist es Hans, von dem die Initiative ausgeht, und jetzt kommt überraschend Florian nach Hause. Etwas außerhalb der zentralen Gruppe steht Majas Mutter Irene (Nicole Heesters). Die beiden Frauen verbindet eine herzliche Abneigung. Leider ist Irene von Buch und Regie nicht gut integriert worden, weshalb sie wie bei einer Bühneninszenierung stets aufs Stichwort aufzutauchen scheint. Die Figur verdankt ihre Existenz offenbar nur einem dramaturgischen Kunstgriff: Einerseits muss die dünkelhafte Irene verdeutlichen, dass Maja „nach unten“ geheiratet hat, denn Florian ist Anstreicher, was im Übrigen eine angenehme Abwechslung zu all den Anwälten und Informatikern ist, die solche Filme in der Regel bevölkern. Andererseits ist ausgerechnet Irene indirekt daran beteiligt, dass sich Maja eine Versöhnung mit Florian vorstellen kann: Denn ihre pubertierende Tochter Charlotte (Anouk Bödeker) reagiert äußerst feindselig auf die Trennung ihrer Eltern, sie gibt Maja die Schuld; und diese erinnert sich – sogar mit einem Lächeln – daran, dass sie sich gerade genauso verhält wie einst ihre ungeliebte eigene Mutter in der gleichen Situation.

Apropos GlückFoto: ZDF / Georges Pauly
Auch schon egal. Maja (Janna Striebeck) knutscht versehentlich mit Hans (Peter Jordan). „Apropos Glück“ (ZDF, 2016)

Und so bietet „Apropos Glück“ eine Menge Anregungen, das eigene Leben zu hinterfragen und beispielsweise über die mangelnde Kommunikation innerhalb von Beziehungen nachzudenken. Diese Botschaft gilt keineswegs nur für Frauen, aber die Geschichte wird nun mal aus ihrer Perspektive erzählt; die Männer sind hingegen die Antagonisten: Der eine hat eine Affäre, der zweite setzt ohne Rücksicht auf die Gattin seine Selbstverwirklichung durch, der dritte nutzt die erstbeste Gelegenheit, um seinen tröstenden Worten leidenschaftliche Taten folgen zu lassen. Dazu passt, dass die weiblichen Figuren insgesamt deutlich prominenter besetzt sind; in ihren Rollen sind aber alle sechs gleichermaßen überzeugend. Grote, selbst gelernte Schauspielerin und spätestens seit „Die Kirche bleibt im Dorf“ auch als Regisseurin anerkannt, lässt die Kollegen und vor allem Kolleginnen zwischenzeitlich von der Leine, dass es eine rechte Freude ist, diesem wilden Treiben um private Neuanfänge und „erwachsene“ Wiederannäherungen zuzuschauen. Was anfangs etwas irritiert, sind einige der teilweise buchstäblich im Minutentakt angespielten Songs und Chansons, deren Unbeschwertheit in krassem Missklang zu den diversen Dramen steht, als sollten sie signalisieren: alles halb so wild. Aber vielleicht ist die Liedauswahl ja auch ironisch gemeint; musikalisches Leitmotiv ist schließlich „La vie en rose“ (das Leben in Rosa). Richtig stimmig wird es allerdings, als die drei „Mädels“ ihrer Zu-neuen-Ufern-Power mit dem Eurythmics/Aretha-Franklin-Song „Sisters Are Doin’ It For Themselves“ Ausdruck verleihen oder als kurz vor Schluss Maja lauthals Marvin Gayes’ „Ain’t No Mountain High Enough“ mitsingt: weil sich die Handlung nun unerwartet zum Positiven wendet oder zumindest Hoffnung schöpfen lässt.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Janna Striebeck, Martin Lindow, Katharina Müller-Elmau, Peter Jordan, Karoline Eichhorn, Joachim Raaf, Nicole Heesters, Anouk Bödeker

Kamera: Thomas Vollmar

Szenenbild: Anna Alaeddine

Kostüm: Anette Schröder

Schnitt: Jan Ruschke

Musik: Jörn Kux

Produktionsfirma: Relevant Film

Produktion: Heike Wiehle-Timm

Drehbuch: Astrid Ruppert

Regie: Ulrike Grote

Quote: 4,34 Mio. Zuschauer (14,1% MA)

EA: 12.10.2016 20:15 Uhr | ZDF

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