Das Geburtstagsgeschenk von Caro (Maike Johanna Reuter) für deren Großmutter Magda (Nicole Heesters) ist geglückt: ein paar gemeinsame Tage im sommerlichen Antwerpen. Die besondere Überraschung, die die Städtereise krönen sollte, verläuft jedoch anders als gedacht: Caro hat Magdas jüdische Sandkastenfreundin Judith ausfindig gemacht. Den Holocaust hat sie also überlebt. Aber hat sie auch die letzten Wochen überlebt? In ihrer Wohnung jedenfalls wohnt sie nicht mehr. Hier ist gerade ein junger Mann eingezogen: Mathis (Dries De Sutter), ein Café-Betreiber und etwas anderer Stadtführer. Und der ist – nicht ohne Hintergedanken – ausgesprochen hilfsbereit. Aber auch Caro ist angetan von dem belgischen Lebenskünstler, obwohl sie fest vergeben ist: Zwischen Johann (Helgi Schmid) und ihr hat es nach fünfzehn Jahren Freundschaft endlich klick gemacht. Auch beruflich passen sie perfekt zueinander. Gemeinsam wollen sie in Hamburg unter dem Dach des konservativen Modeschöpfers Marc Aurich (Walter Sittler) ein eigenes innovatives Label gründen. Caro hat sich durchaus schon einen Namen in der Branche als besonders kreative, phantasievolle Designerin gemacht. Und so würde die Leiterin der Antwerpener Modeakademie (Rebecca Immanuel) sie liebend gern als Dozentin gewinnen. Ein Grund mehr für Caro, ihre Karrierepläne zu überdenken.
Die „Ein Sommer“-Filme gehörten jahrelang zu den frischeren, intelligenteren Produktionen sonntags im ZDF. Seit zwei, drei Jahren jedoch ist die Reihe im Zuge der reizvolleren Konkurrenz wie „Ella Schön“, „Ein Tisch in der Provence“ und zuletzt „Nächste Ausfahrt Glück“ ins Hintertreffen geraten. Insbesondere die Filme der beliebten Urlaubsreiseziele stoßen mittlerweile an ihre Grenzen. Dass ein paar Sommertage in einer Stadt andere narrative Möglichkeiten eröffnen, beweist nach den frühen Highlights „Ein Sommer in Kapstadt“ (2010) und „Ein Sommer in Paris“ (2011) nun auch die mittlerweile 36. Episode der Reihe: „Ein Sommer in Antwerpen“. Zwar zieht sich die amouröse Grundkonstellation – eine Frau muss sich zwischen zwei Männern entscheiden – durch viele „Ein Sommer“-Filme und fast alle ZDF-„Herzkino“-Geschichten, aber so nachvollziehbar für den Zuschauer wie in dem Film von Ulrike Hamacher nach dem Drehbuch von Agnes Schruf ist dieses Dilemma sonst nur selten. Häufig gibt bereits der Blick auf die Besetzungsliste eine klare Antwort darauf, für wen die Heldin sich am Ende entscheiden wird. Hier hingegen verkörpern die Männer die zwei Seiten jener Caro, die sich einerseits nach Sicherheit und Klarheit sehnt, andererseits aber ebenso gern ihre Unabhängigkeit und Freiheit behalten würde. Helgi Schmid und Dries De Sutter sind als Schauspieler ebenbürtig, und auch das Drehbuch schreibt ihren Charakteren über deren spezielle Wesensart hinaus keine unangenehmen Eigenschaften ins Textbuch.
Soundtrack: Lady Gaga („Fashion“), Justin Timberlake („Can’t Stop The Feeling!“), King of Leon („Use Somebody“), Remme („Get Older“), Freya Ridings („Lost Without You“), Stevie Wonder („Signed, Sealed, Delivered – I’m Yours“)
Ein sympathisches Statement, zumal es nicht ausgestellt wirkt, ist nicht nur in Zeiten des zunehmenden Antisemitismus in Deutschland der B-Plot um die Sandkastenfreundschaft der Großmutter mit der Jüdin Judith, die eines Tages spurlos aus ihrem Leben verschwunden war. Wirkt dieser kleine Exkurs in den Nationalsozialismus zunächst wie der etwas gewollte Versuch, die oberflächliche Welt der Mode mit einem Hauch von Tiefe zu versehen, so erhält diese Vergangenheit im Schlussdrittel eine eindrucksvolle, berührende Sequenz, die den privaten Gefühlshaushalt des Films um eine relevante historische Dimension erweitert. Für diese fast neunminütige, mit Rückblenden in die Kindheit versehene Erinnerungsszene ist eine Schauspielerin wie Nicole Heesters Gold wert. Ihre Tränen haben Stil; in ihnen mischen sich große Emotionen mit eleganter Contenance. Aber auch in der Kommunikation mit der Jugend überzeugt Heesters, weil sie sich bei aller Nachdenklichkeit auf das zeitgemäße, beiläufige, alltagsnahe Spiel versteht, das sich heute in den meisten Unterhaltungsfilmen – und ganz besonders in „Ein Sommer in Antwerpen“ – durchgesetzt hat. Und die im Film beschworene gleiche Wesensart von Großmutter und Enkelin findet auch im Zusammenspiel von Heesters und Maike Johanna Reuter, sehr überzeugend in ihrer ersten Hauptrolle in einem TV-Movie, ihren „natürlichen“ Widerhall. Beide harmonieren wunderbar miteinander. Und sie treffen auch mit Schmid und De Sutter die richtigen Tonlagen. Das ist wichtig in einem Film, der auf ein kleines Ensemble setzt und so immer wieder mit „Partnertausch“-Szenen operieren muss. Was für die Schauspieler gilt, gilt aber auch für die Figuren: Mit dem Belgier können die Frauen sowieso; aber auch der Modemensch Johann macht der Großmutter seine Aufwartung.
Dass der Film auf die Fallhöhen-Dramaturgie und auf einen Antagonisten verzichtet, macht seinen besonderen Reiz aus. Dafür legen Autorin Schruf, Regisseurin Hamacher und die Schauspieler*innen Wert auf eine authentische Mikrokommunikation: Die Dialoge sind der Umgangssprache abgelauscht, es wird viel gelächelt, denn Lächeln ist bekanntlich der Kitt der Alltagskommunikation, und da Ehrlichkeit oberstes Prinzip ist („Ich habe ihn geküsst“) und alle nur das Gute wollen, halten sich die Figuren deutlich mit Ironie zurück. Und weil die schroffen dramaturgischen Gegensätze fehlen und es zwischenzeitlich immer mal wieder Sightseeing-Momente gibt, die allerdings eher die Realitätsnähe (Großmutter und Enkel sind schließlich Touristen) spiegeln als dass sie stören würden, hat man als Zuschauer die Muße, die Heldin und das, was die Kostümbildnerin (Stephanie Fürst) für sie ausgesucht hat, in Augenschein zu nehmen – und so erkennt man, dass Kleider auch sehr stimmig Geschichten beziehungsweise Situationen miterzählen (können), was allerdings auch naheliegend ist bei einem Film, in dem es um Mode geht. Und so fällt einem bei „Ein Sommer in Antwerpen“ mal wieder der Max Ophüls zitierende Francois Truffaut ein und sein Bonmot über das Filmemachen, das nichts anderes sei, als schönen Menschen bei schönen Dingen zuzuschauen. Im Fernsehen ergeben sich daraus zwar keine magischen Momente wie im Kino, aber immerhin kleines, sympathisches Nebenbei-Fernsehen, das in diesem Fall, im zweiten Pandemiejahr, dem Zuschauer dazu noch eine Art Reise-Ersatz bietet. (Text-Stand: 4.4.2021)